Forschungskolleg NRW

Nachhaltige Energiesysteme im Quartier

Abschlusstagung des Forschungskollegs „Nachhaltige Energiesysteme im Quartier“

Lebhaft gingen die Argumente hin und her in der ersten Diskussionsrunde nach den Keynotes auf der Abschlusstagung des Forschungskollegs „Nachhaltige Energiesysteme im Quartier“. Wie können wir die Energiewende im Quartier voranbringen und welche Technologien und Planungsansätze können zu einem möglichst zukunftsfähigen System zusammengefügt werden? Wie können wir die Bewohner*innen und Nutzer*innen unserer Städte aktivieren und zu einem CO2-sparsamen Umgang mit Verkehr, Wärme und Strom motovieren? Über diese und weitere brisante Fragen um das Thema der nachhaltigen Quartiersentwicklung wurde am 3. November 2022 an der RWTH im Super C in Vorträgen, Diskussionsrunden und anhand der Poster der Promovierenden des Forschungskollegs NEQ und des Forschungskollegs ACCESS! debattiert.

Eingeladen haben wir zur Abschlusstagung unseres vierjährigen Graduiertenkollegs, das in einer zweiten Phase vom Land Nordrhein-Westfalen gefördert wurde, um junge Wissenschaftler*innen inter- und transdisziplinär auszubilden und damit fit zu machen für die großen Herausforderungen der Zukunftsgestaltung im Zeichen von Klimawandel und Energiekrise. Die Abschlusstagung präsentierte nicht nur Zwischenergebnisse der Forschungsvorhaben, sondern verstand sich auch als Brückenschlag zwischen den unterschiedlichen Fachdisziplinen und Erfahrungsaustausch zwischen Forschung und Praxis.

Die ersten beiden Keynotes des Tages spannten den thematischen Rahmen der Tagung auf von der Quartiersforschung bis zur Forschung an Energie-und Wärmenetzen. Dr. Olaf Schnur vom Bundesverband Wohnen und Stadtentwicklung vhw stellte die besondere Brisanz des Themas heraus, die sich durch die Ereignisse dieses Jahres und den immer schneller fortschreitenden Klimawandel nochmal enorm verstärkt haben. Er zeigte anhand von neun Aspekten die Relevanz von Quartieren als Bezugsebene auf, von dem Aspekt des „sich-erdens“ bis zu den Möglichkeiten im Quartier als Bürger*in oder Nutz*in selbst aktiv zu werden. Seine Definition von Quartier als ein unscharfer Begriff wurde in vielen Dissertationsvorhaben des Forschungskollegs als grundsätzliche Definition angewandt. Über die Darstellung der Nachhaltigkeitsdimensionen und ihres Bezugs zum Quartier leitete er über zu zehn Thesen, die nach seiner Meinung eine nachhaltige Quartiersentwicklung charakterisieren und einen wesentlichen Beitrag für Klimaschutz und Energiewende leisten.

Als zweiter Keynote-Speaker stellte Prof. Dr. Rik de Doncker vom E.on Energy Research Center, RWTH Aachen, Herausforderungen und Lösungsansätze für nachhaltige Energienetze im Quartier vor. Er legte dar, welch große CO2-Einsparungen für den Klimaschutz in allen Sektoren von der Energieversorgung, Gebäuden und Industrie bis zum Verkehr notwendig sind. Diese gigantischen Transformationsprozesse bieten aber auch Chancen, wenn es gelingt, die verschiedenen Sektoren intelligent miteinander zu verzahnen. Professor De Doncker zeigte die Vorteile von DC grids, Gleichstromnetzen, für die Versorgung auf Quartiersebene auf: sie können als lokale dezentrale Stromnetze auf der einen Seite Erneuerbare Energiequellen sehr gut integrieren, auf der anderen Seite können sie als Übertragungsnetze die Leitungsquerschnitte besonders effizient auslasten. Durch Kraft-Wärme-Koppelungen und die Vernetzung der verschiedenen Sektoren über leistungsfähige Leitungssysteme kann das Energiesystem effizient umgestaltet werden, wenn gleichzeitig die schnelle Digitalisierung der Netze vorangetrieben wird. Professor De Doncker unterstrich, dass alle notwendigen technischen Komponenten mittlerweile schon entwickelt und produktionsreif. Er empfahl, Wasserstoff nur dort einzusetzen, wo er notwendig ist und möglichst nicht als Speichermedium.

Im Anschluss folgte eine lebhafte Diskussion zwischen den beiden Vortragenden und Vertreter*innen aus der Praxis, moderiert durch Professorin Christa Reicher. Die aufgerufene Komplexität des Handelns im Quartierskontext wurde von Dr. Reinhard Loch von der Verbraucherzentrale NRW, Frau Dr. Nieder von der WiN Emscher-Lippe GmbH und Herrn Michael Neitzel vom Institut für Wohnungswesen, Immobilienwesen, Stadt- und Regionalentwicklung bestätigt und beispielhaft erläutert. Die zukünftige Rolle des Wasserstoffs für die Energiewende wurde kontrovers diskutiert.

Nach der Kaffeepause, in der weiter lebhaft diskutiert wurde, fanden zwei parallele Panels unter der Leitung der Doktorand*innen und mit Mitgliedern des Wissenschafts- und des Praxis-Beirats des Forschungskollegs statt. Im Panel I ging es um die Fragestellung: Energieinfrastrukturen und Gebäude umbauen, wie gelingt eine nachhaltige Umstrukturierung im Quartier? Der Fokus des Gesprächs lag neben technischen Aspekten auf den Möglichkeiten einer ökonomischen Steuerung und dem Umbau der Energiemärkte, um die Nutzung erneuerbarer Energien und Energieeinsparung als wesentlichen Beitrag für die Reduktion von CO2-Emissionen zu fördern. Im Panel II lag der Schwerpunkt auf den verschiedenen Interventionsebenen für eine nachhaltige Quartiersentwicklung. Wie können Bewohnerschaft und Nutzer*innen in einem Quartier für nachhaltiges Handeln gewonnen werden? Ein wichtiger Aspekt ist der räumliche Bezug zum Quartier und damit die Erlebbarkeit und Identifikationsmöglichkeit mit diesem. Vorbildfunktionen von Akteur*innen und die Frage „Was macht mein Nachbar“ können Stimuli für Veränderung sein. Dabei sollten Hemmschwellen beseitigt werden durch niederschwellige Angebote zum Mitmachen und eine positive Kommunikation, „die nicht Kraft raubt, sondern Kraft gibt“. Die Forschung in Reallaboren kann wichtige Einsichten hervorbringen, wenn es gelingt, den Betroffenen zu vermitteln, dass man mit ihnen zusammen als Expert*innen forschen möchte und nicht über sie, denn das schafft Skepsis und Ablehnung. Wichtig ist es, Bilder zu erzeugen die Orientierung bieten können und einen Blick in die Zukunft gewähren.

Der Nachmittag wurde eingeleitet von zwei weiteren Keynotespeakern, die das Thema der Tagung in einen größeren Kontext einordneten. Frau Berit Czock vom Energiewirtschaftlichen Institut der Universität zu Köln stelle Ergebnisse der DENA-Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“ vor. Das Ziel der Studie ist es, die Handlungsoptionen Deutschlands zur Erreichung der gesetzten Klimaschutzziele in verschiedenen Sektoren aufzuzeigen.  Frau Czock stellte mögliche Ausbauszenarien vor, die auf großes Interesse und viele kritische Nachfragen der Zuhörer*innen trafen. Der zweite Keynote-Speaker des Nachmittags war Hans Haake vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Er rüttelte auf mit seinen provokativen Fragen zu den wichtigsten Hebeln der Großen Transformation, dem Forschungsansatz des Wuppertal Institutes. Zum Beispiel forderte er, nicht rein technologische Ansätze, sondern Systeminnovationen anzuschieben. Die Ansätze müssten niederschwellig sein und möglichst breit von vielen Menschen umgesetzt werden können. Dabei müsse es einen veränderten Diskurs über Wohlstand mit alternativen Wohlstandsindikatoren geben, denn unsere bisherigen Vorstellungen helfen in der aktuellen Klimakrise nicht mehr weiter.

Die praktische Umsetzung von nachhaltiger Quartiersentwicklung wurde anhand von drei Praxisbeispielen vorgestellt. Der technische Beigeordnete der Stadt Bottrop, Klaus Müller, stellte die innovativen und sehr erfolgreichen Ansätze der InnovationCity Bottrop vor, die eine energetische Sanierungsquote von 2,86 Prozent im Bestandsquartier erreichten, zum Vergleich lag der bundesweite Durchschnitt bei ca. 0,8%!

Bernhard Neugebauer von der Sennestadt GmbH präsentierte die Entwicklung des in den 50er Jahren auf dem städtebaulichen Leitbild der autogerechten Stadt entworfenen Stadtteils Sennestadt und wie dieser durch ein innovatives Sanierungsmanagement zu einem zukunftsfähigen, nachhaltigen Stadtquartier umgebaut wird.

Christian Remacly von der RheinEnergie AG stellte die Sanierung der Stegerwaldsiedlung in Köln vor. Hier wurde in intensiver Zusammenarbeit zwischen Wohnungsbaugesellschaft, Stadt und Energieversorger eine vorbildliche energetische Sanierung durchgeführt, die, wissenschaftlich begleitet, als Blaupause für die Sanierung weiterer Bestandssiedlungen dienen kann.

Die letzte Gesprächsrunde des Tages zwischen Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirates des Forschungskollegs NEQ und Professor Dr. Grit Walther als Sprecherin des Forschungskollegs ACCESS! erlaubte eine Reflexion über die Erfahrungen mit der Organisationsform ‚Forschungskolleg‘.  als Instrument interdisziplinärer und transdisziplinärer Forschung. Sehr deutlich wurde, wie wichtig eine interdisziplinäre und transdisziplinäre Ausbildung junger Wissenschaftler*innen neben einer hohen Fachexpertise ist, denn die komplexen Probleme der Zukunft können nur durch ein holistisches Begreifen der Wirkzusammenhänge und einem Denken in Systemen gelöst werden.

Wir danken noch einmal allen Mitwirkenden für ihr großes Engagement und ihren hervorragenden fachlichen Input, durch den diese Tagung zu einem rundum gelungenen Abschluss des Forschungskollegs NRW „Nachhaltige Energiesysteme im Quartier“ werden konnte.

Christine Hahn
Canan Çelik

Handbuch Energieeffizienz im Quartier

Jetzt erhältlich:

Im Rahmen der ersten Förderphase des Forschungskollegs EEQ: Energieeffizienz im Quartier haben 11 Doktorand*innen unterschiedlicher Disziplinen zu Themen im Bereich der Energieeffizienz im Quartier promoviert. In ihren Arbeiten werden Lösungsansätze und Empfehlungen für Akteure der Energiewende entwickelt. Erläutert werden Möglichkeiten und Perspektiven für Energieproduktion, Netze und Betreibermodelle auf der Quartiersebene. Die Publikation ist seit Juli 2021 beim Springer Verlag erhältlich. 

 

 

2. Phase des Forschungskollegs "Energieeffizienz im Quartier"

Das Forschungskolleg NRW „Nachhaltige Energiesysteme im Quartier“ hat zum Ziel, technische, wirtschaftliche und soziale Steuerungsmodelle zur Steigerung der Energieeffizienz im Quartier zu entwickeln. Damit leistet das Forschungskolleg mit seiner breiten interdisziplinären Zusammensetzung und Einbettung in die Praxis (transdiziplinär) einen wichtigen Beitrag, um integrierte Konzepte zu entwickeln und die notwendige Verständigung zwischen den Disziplinen sowie zwischen zukünftigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit Praktikerinnen und Praktikern unterschiedlicher Disziplinen zu fördern. Konkrete Handlungsmöglichkeiten und Optionen sollen die handelnden Parteien, allen voran Stadtwerke, Kommunen, Politik und Bürger darin unterstützen, die Energiewende im Quartier voranzutreiben.

Die Publikationen, die von den Doktoranden im Rahmen des Forschungskollegs erstellt wurden, finden Sie hier.

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